Sarkopenie – der natürliche Alterungsprozess lässt unsere Muskeln schwinden: was tun?

April 14, 2021

Welche Rollen Bewegung und eine proteinreiche Ernährung spielen, warum eine tiefe Gehgeschwindigkeit das Sturzrisiko erhöht und wie wichtig Hausärzte in der Früherkennung sind – das erfahren Sie im Interview mit Geriater Dr. med. Moritz Strickler.

Moritz Strickler; ©fotomtina.ch
Moritz Strickler; ©fotomtina.ch

Was ist Sarkopenie und wer ist betroffen? 

Sarkopenie ist der Abbau von Muskelmasse und Muskelkraft mit fortgeschrittenem Alter. Von den über 80-jährigen sind rund 30–50 % von Sarkopenie betroffen, je nach Komorbidität und Geschlecht. Männer leiden häufiger daran. Auch Menschen, die in Altersheimen leben, sind häufiger sarkopen, weil ihre Mobilität meist schon eingeschränkt ist. Unsere Muskeln beginnen ab dem 50. Lebensjahr zu schwinden und wir verlieren pro Jahr rund 0.5 bis ein Prozent an Muskelmasse. Der Muskelverlust kann so – ohne Präventionsmassnahmen – auch bereits ab ca. 65–70 Jahren klinisch relevant sein. 
 

Welches sind die Risikofaktoren für eine Sarkopenie?

Risikofaktoren sind zu wenig Bewegung, Mangelernährung, ein altersassoziierter, chronischer Entzündungsstatus und Komorbidität. Komorbidität bedeutet oft auch mehrere Medikamente, eine sogenannte Polypharmazie, was das Risiko erhöhen kann.

Wie zeigt sich Sarkopenie bei den Betroffenen?

Mobilität und Selbstständigkeit im Alltag nehmen ab. Relevant sind die Einschränkungen dann, wenn Betroffene ihren Alltag nicht mehr alleine bewältigen können. Wenn sie also nicht mehr Treppen steigen können, ihre Kaffeetasse nicht mehr selber tragen oder nicht mehr selber kochen können. Bei fortgeschrittener Sarkopenie werden Stürze häufiger, Betroffene erleiden öfter Knochenbrüche, müssen vermehrt im Spital behandelt und operiert werden. Ein Eintritt ins Altersheim kann unumgänglich werden. 

Wie lässt sich der Verlust von Muskelmasse diagnostizieren?

Es gibt einfache klinische Tests, die sich auch in Hausarztpraxen gut und schnell durchführen lassen, z.B. durch Messen der Gehgeschwindigkeit und/oder der Handkraft. Auch Fragebögen helfen, die Gebrechlichkeit des Patienten zu beurteilen. Eine Sarkopenie frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, kann Stürze verhindern. Hausärztinnen und Hausärzte haben deshalb bei der Früherkennung eine zentrale, wichtige Rolle. 

Wie wird eine Sarkopenie behandelt?

Am wichtigsten ist die Prävention. Regelmässige Bewegung und eine ausgewogene, proteinreiche Ernährung schon früh im Leben sind die Grundlage. Eine Hausärztin kann einen Patienten während einer Sprechstunde darauf hinweisen. Ist die Sarkopenie schon fortgeschritten, kann sie auch mal Spaziergänge verordnen, die Ernährung konkret ansprechen oder den Patienten in die Ernährungsberatung überweisen. Trinknahrungen können helfen eine Mangelernährung auszugleichen.

Wie kann ein Hausarzt einem Patienten bewusst machen, wie elementar Prävention und Behandlung sind?

Es ist wichtig, dass Hausärztinnen und Hausärzte ihren Patienten die Konsequenzen aufzeigen, wenn ihre Sarkopenie fortschreitet: nachlassende Handkraft und eine tiefe Gehgeschwindigkeit (< 0.8 m/Sek) korrelieren mit dem Sturzrisiko. Morbidität und Mortalität sind erhöht. Häufige Stürze können den Eintritt in ein Altersheim notwendig machen. Sich seine Selbständigkeit im Alltag so lange wie möglich zu bewahren, ist der wichtigste Motivationsfaktor.

Haben Sie Pläne, Ihre Erfahrung und Ihr Wissen über Sarkopenie zu teilen? 

Wir möchten das Bewusstsein für Sarkopenie fördern und planen Fortbildungen für Hausärztinnen und Hausärzte sowie Vorträge in Alters-und Pflegeheimen.
 

In Kürze

Sarkopenie ist der Abbau von Muskelmasse und Muskelkraft mit fortgeschrittenem Alter. Regelmässige Bewegung und ausgewogene, proteinreiche Ernährung sind zentral in der Prävention und Behandlung.
 


(1) Iannuzzi-Sucich M, Prestwood KM, Kenny AM. Prevalence of sarcopenia and predictors of skeletal muscle mass in healthy, older men and women. J Gerontol A Biol Sci Med Sci. 2002 Dec;57(12):M772-7

(2) Dodds RM, Roberts HC, Cooper C, Sayer AA. The Epidemiology of Sarcopenia. J Clin Densitom. 2015 Oct-Dec;18(4):461-6.

(3) Cruz-Jentoft AJ, Baeyens JP, Bauer JM, et al. Sarcopenia: European consensus on definition and diagnosis: Report of the European Working Group on Sarcopenia in Older People. Age Ageing. 2010; 39(4):412–23.